Gründungsideen aus der WG-Küche – Wahrheit oder Mythos?

Wo entstehen die besten Geschäftsideen? An Universitäten, in zweckmäßigen Räumlichkeiten von Inkubatoren oder doch eher unter der Dusche? Laut den Erfahrungen zahlreicher Startup-Gründer bieten die eigenen vier Wände die besten Voraussetzungen für die Ideensammlung und -umsetzung – vorzugsweise innerhalb einer Wohngemeinschaft. Das sich insbesondere die Küche großer Beliebtheit erfreut, ist nachvollziehbar, da sie meist den einzigen Gemeinschaftsraum in einer WG darstellt. Das Zusammenleben der verschiedenen Individuen auf kleinstem Raum scheint die Kreativität der Bewohner zu fördern, da immer mehr Geschäftsideen in einer Wohngemeinschaft entstehen. Klingt wie ein reiner Mythos? Die nachfolgenden Beispiele beweisen das Gegenteil.

Einwegbesteck Adieu: Essbare Löffel sind die Zukunft

Im Sommer 2018 gründen zwei Mitbewohnerinnen ihr eigenes Startup: Spoontainable. Die beiden Freundinnen wollen dem Plastikmüll den Kampf ansagen. Und wo experimentieren sie mit Rezeptideen für essbare Löffel? Genau, in der WG-Küche. Die beiden jungen Frauen finden hier einfach die beste Arbeitsatmosphäre, auch wenn die kleine Küche sie zum Improvisieren zwingt. So lässt sich zum Beispiel kein Nudelholz finden, um die Prototypen auszurollen – als Ersatz dient ein leeres Bierglas. Ihrem Erfolg schadet das nicht. Im Gegenteil: Mittlerweile ist Spoontainable so erfolgreich geworden, dass die Freundinnen die eigene Küche gegen eine Produktionshalle tauschen konnten. Ende 2019 erreichen die beiden sogar ihr selbst gestecktes Ziel und ersetzen eine Millionen Plastiklöffel durch ihre Spoonies. Doch die WG-Küche ist damit noch lange nicht abgeschrieben. An freien Tagen und im Urlaub finden sich die Mitbewohnerinnen dort wieder zusammen, um neue Ideen zu generieren – und natürlich, um neue Rezeptideen auszuprobieren.

Idee entstand am WG-Küchentisch – heute ist sie 44 Mio. Euro wert

Brillenträger dürfen sich freuen: Ein Startup aus Konstanz entwickelt 2016 ein besonderes Produktionsverfahren, welches es ermöglicht, individuelle Brillengestelle durch Infrarot-Scan des Kopfes für Kunden anzufertigen. Modellen von der Stange wird damit der Kampf angesagt. Auch diese Idee entsteht in der gemeinsamen Wohngemeinschaft der vier Gründer von Youmawo. Fünf Jahre später nutzen bereits über 500 Optikergeschäfte den Scanprozess. Mittlerweile ist das Jungunternehmen in 17 Ländern aktiv – Tendenz steigend.

Koawach – Die Revolution der Trinkschokolade

Daniel und Heiko, zwei ehemalige Studenten von der Uni Köln, teilen die Abneigung gegenüber Kaffee und suchen händeringend nach einer guten Alternative, die sie durch lange Prüfungsnächte bringt. Doch warum suchen, wenn man es auch selbst machen kann. Kurzerhand funktionieren die beiden ihre WG-Küche zum Kakao-Labor um. Mit verschiedenen Rezeptideen vergeben die beiden Kostproben an Bekannte und andere Studierende auf dem Campus, bis die finale Rezeptur gefunden ist. Koawach ist geboren und damit auch die Vision, die Kakaoindustrie von Grund auf zu revolutionieren. Doch wer jetzt an ein wärmendes Schokogetränk vor dem Zubettgehen denkt, liegt falsch. Die Produkte von Koawach sind – aufgrund der Kombination mit der exotischen Koffein-Quelle Guaraná – echte Wachmacher. Darüber hinaus legt das Unternehmen besonderen Wert auf Nachhaltigkeit und fairen Handel. Seit 2017 sind alle Produkte der Marke stolze Träger eines Bio-Zertifikats und des Fairtrade-Siegels.

Startup-WGs bieten mehrere Vorteile

Die Beispiele zeigen: Dass die meisten Geschäftsideen in einer WG entstehen, ist kein Mythos. Aber warum ist das so? Fakt ist: Startups sind teuer. Angefangen mit der juristischen Beratung vor der Gründung, über die Anmeldung von Patenten bis hin zur Anmietung von Büroräumen etc. Die Startup-WG löst zumindest ein Problem: die Suche nach passenden und bezahlbaren Räumlichkeiten. Erfahrungen zeigen, dass sich Gemeinschaftsräume – mit Vorliebe die Küche – schnell zum Büro umfunktionieren lassen. Zudem bietet das Zusammenleben die Möglichkeit, sich zu jeder Tageszeit mit seinen Mitstreitern über neue Ideen und potenzielle Maßnahmen austauschen zu können. Die Vorteile einer Gründer-WG liegen also praktisch auf der Hand. Jedoch birgt das Leben in einer Startup-WG auch so seine Tücken. 

Natürlich ist es von Vorteil, sich jederzeit austauschen zu können, trotzdem kann es dem einen oder anderen schnell zu viel werden, seine Mitstreiter permanent um sich zu haben. Dabei sollte man auch nicht vergessen, dass Alltagspflichten wie Staubsaugen, Abwaschen usw. – wie bei normalen WGs auch – häufig zu Diskussionen und Auseinandersetzungen führen können. Die eine Partei hat eventuell höhere Ansprüche an die Sauberkeit als die andere. Unter den Folgen leidet in den meisten Fällen nicht nur die Freundschaft, sondern auch der Erfolg und die Entwicklung des Unternehmens. Deshalb sollte man es sich gut überlegen, ob eine Startup-WG für einen selbst die richtige Wahl ist.

Alternative: Eine WG, zwei Geschäftsideen

Doch nicht nur das Zusammenleben mit den eigenen Startup-Kollegen, sondern auch eine gemischte Gründer-WG, bei dem jeder Bewohner ein anderes Unternehmen vorantreibt, erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Sich nach getaner Arbeit in den Gemeinschaftsräumen über den aktuellen Stand der jeweiligen Projekte der anderen auszutauschen, hat seine ganz eigenen Reize. Hier können Erfahrungen und Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Alltagen geteilt werden, was wiederum die persönliche Entwicklung beflügeln kann. Das Streitpotenzial mit den eigenen Mitbegründern sinkt entsprechend, da man sich nicht ständig in den gleichen Räumlichkeiten oder in derselben sozialen Gruppe bewegt. Für die Gründer-Teams, die dem Zusammenleben in einer WG eher skeptisch gegenüberstehen, sollte diese Möglichkeit eine gute Alternative darstellen.

Es lässt sich also festhalten, dass das Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft und insbesondere die wohlige Atmosphäre der WG-Küchen dazu beitragen, neue, innovative Gründungsideen zu entwickeln und im besten Fall auch zu verwirklichen. Auf die gleiche Schlussfolgerung sind bereits diverse Förderinstitutionen gekommen. Ein Beispiel dafür ist das Projekt Startup.Starterkit.MG. Damit sollen junge Gründer aus der Umgebung unterstützt werden. Die innovativste Idee gewinnt und dem dazugehörigen Team wird, für die Dauer eines Jahres, eine mietkostenfreie WG zur Verfügung gestellt. Dazu erhält das Gründerteam Zugang zu wichtigen Netzwerken der Branche und tatkräftige Unterstützung in Sachen Marketing. Eine clevere Idee, um das offensichtlich erfolgreiche Konzept der Startup-WG weiter zu fördern. Sicher werden in Zukunft noch viele tolle Ideen zwischen Herd und Küchenschrank entstehen.

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